Indienreise 1964

Erinnerung an eine Indienreise

New_Delhi1964Für mich war die Welt – wie man so sagt – an diesem Augusttag 1965 in Delhi keineswegs in Ordnung. Nach vier Jahren Japan und nun die Heimreise durch Hongkong, Kambodscha und Thailand kam ich in bisher unbekannte Schwierigkeiten. Dass mein Hotelzimmer mit dem schmutzigen Bettzeug und dem dauernd tropfenden Wasserhahn nicht zu den besten gehörte, nahm ich gelassen hin. Auch die schwüle Hitze konnte mir nichts anhaben. Dass ich aber, kaum außerhalb des Hauses, auf Schritt und Tritt in unangenehm auffälliger Weise von Männern verfolgt und zweimal angefallen wurde, beunruhigte mich.

Von nun an mied ich Gehwege und lief mitten auf der Straße zwischen Autos und Kühen. Die von einem Tokioer Reisebüro aus geplante Fahrt allein in einem Taxi durch den südlichen Teil Indiens erschien mir nach diesen Erfahrungen zu gefährlich. Noch am gleichen Tag teilte ich dem für diese Fahrt zuständigen Reiseunternehmen in Delhi mit. Dass ich nicht bereit sei, die Fahrt zu machen. Nach den Gründen befragt, antwortete ich: „Die Hitze“. Antwort: „Keine Sorge, Sie bekommen eine gekühlte Kiste Cola mit“. „Die Sicherheit“, sagte ich. Ein verständnisloses Lächeln ist die Antwort. Ich gebe mich nicht geschlagen, schildere, was ich erlebt habe. Es hilft nichts. Sie bestehen darauf, dass ich diese Reise, da gebucht und bezahlt durchzuführen hätte. An eine andere Reisemöglichkeit oder gar Rückgabe des Geldes sei nicht zu denken.

Was sollte ich tun ? Die Reise wollte und musste ich machen. Da ich in Tokio die gesamte Rückreise bezahlt hatte, besaß ich nicht genügend Geld für außerplanmäßige Unternehmungen. Verzweiflung macht mutig. Ich sprach Europäer und Amerikaner an, ob sie nicht auch in Richtung Shrinaga reisen würden und ich mich ihnen anschließen könne. Eine verrückte Idee, aber damals erschien sie mir als die einzig mögliche. Nach einigen vergeblichen Versuchen sprach ich eine weiße Nonne an. Sie hörte sich kurz meine Probleme an, fragte mich nach meiner Hotelunterkunft und erbat sich meinen Reisepass, in den sie einen flüchtigen Blick warf. Schon hatte ich ihren Zimmerschlüssel in der Hand, mit dem Hinweis, sofort meine Sachen aus dem Hotel zu holen und mit einem Taxi zur St.-Xavier-Schule zu fahren. Sie müsse inzwischen noch etwas erledigen.

„Liebe Sister Carmelann,
wir wurden gute Freunde. Geteilt haben wir ein spartanisch eingerichtetes Zimmer, das mir soviel Geborgenheit gab. Wie viele Stunden verbrachten wir gemeinsam, indem wir uns aus unserem Laben berichteten. Was wahre geistliche Berufung bedeutet, erfuhr ich durch Dich. Religion spielte in Deinem Elternhaus kaum eine Rolle. Du liebtest das Meer, in das Du von Deinem Elternhaus in Sydney jeden Morgen vor der Schule hineinsprangst, und Deinen Freund mit dem Du Dich in Kürze verloben würdest. Ein Ballkleid oder eine Reise zu Exerzitien? Nur für das eine oder andere Vorhaben hattest Du das Geld und wähltest das letztere. Zurück kamst Du mit der Berufung, das aufzugeben, was Dir bisher lieb war, um Dich nicht wenige Menschen auf der Sonnenseite, sondern unendlich vielen auf der Schattenseite des Lebens zu schenken. Dass Du Dich aktiv helfend für die Armen der 3. Welt einsetzen würdest, war bereits mit Deiner Entscheidung, Nonne zu werden, klar. Nur nicht Indien, das war Deine einzige inständige Bitte, nicht Indien! Es wurde Indien, und in dem Augenblick, in dem Du bei der Ankunft den ersten Kuli sahst, wusstest Du: Hierher gehöre ich!“

Hyderabad
Hyderabad

Eine weitere Bekanntschaft sollte von Bedeutung für mich werden: Der indische Priester Reverend Rodrigues, damals Leiter katholischen St. Xavier-Schule. Bei ihm sollte ich mich nach meinem Eintreffen melden. Er hörte sich meinen Bericht bezüglich der Reise ins Landesinnere an, und noch ehe ich mich versah, saßen wir im Auto Richtung Reisebüro. Father Rodrigues, noch öfter sind wir uns in der Zwischenzeit begegnet, aber das Bild wird mir unvergesslich sein! Wie er, nicht groß, eher untersetzt, mit weiten Schritten in seiner weißen Soutane (Umhang) energisch auf den Direktor des Reisebüros zuging und ihn mit vernehmlicher Stimme ansprach: „Wie können Sie dieser jungen Dame zumuten, alleine nach Hyderabad zu reisen!“ Widerspruchslos wurde sofort eine Fahrt mit einer größeren Reisegesellschaft für mich arrangiert.

Sollte mit meiner interessanten Fahrt in den Süden Indiens mein Aufenthalt in diesem Land beendet sein? Gebucht war eine Weiterreise nach Teheran. Sister Carmelann lud mich nach Bombay ein, wo sie als Oberin eines Krankenhauses ihre eigentliche Aufgabe hatte. Kurz entschlossen annullierte ich meine Persienreise und begleitete sie nach Bombay.

„Annegret, wenn Du früh aufstehst, kannst Du mit einem Priester frühstücken,“ sagte Schwester Carmelann eines Abends zu mir. Welch ein Frühstück! Das heißt, was es zu essen gab, habe ich längst vergessen. Aber das Gespräch! Tanz, Opern, Bibel-Übersetzungen in Hindi und seine Liebe zu den Kastenlosen, den Bhils. Mein Gesprächspartner war mit den Gesichtszügen eines Künstlers, gekleidet in indischem Habitus, eine eindrucksvolle Gestalt. Hätte er nicht die Berufung zum Mönch erhalten, wäre er vermutlich Opernsänger geworden. Die ersten Auftritte an der Wiener Staatsoper waren viel versprechend. Künstler ist er auch in seiner wahren, geistlichen Heimat Indien geblieben. Pater Proksch wurde vielen durch seine indische Tanzgruppe bekannt, mit der er einige Male durch mehrere Länder Europas reiste. Mit der indischen tänzerischen Ausdrucksgestik stellt seine Tanzgruppe biblische Themen dar.

Reichtum des Lebens, das bedeuten diese Begegnungen in Indien für mich !

Von Annegret Fabricius