Reisetagebuch von Sophie Döhner, 1893 – Californien
Sophie Döhner ist auf dem Weg von Mexiko nach S. Francisco, von wo sie per Schiff nach Japan weiterreisen wird. Die Southern Pacific-Bahn, die von El Paso in westlicher Richtung nach Kalifornien führt, hatte ihren Betrieb wegen der vielen Überschwemmungen eingestellt. So blieb ihr nichts anderes übrig, als mit der Santa Fé-Bahn wieder bis Albuquerque zurückzufahren. „Was auf dieser Strecke vor 3 Wochen sandige Wüste gewesen, war nun weit und breit grünes Feld, und die leeren Flußbette waren in reißende, lehmfarbige Ströme verwandelt.“ Es ging nun 24 Stunden lang von Albuquerque westwärts durch den Staat Arizona, ein Hochplateau mit Fichten und Kiefern bewaldet. Doch abseits davon gibt es so gewaltige Schluchten und Felspartien wie in kaum einem anderen Land der Welt. Sophie ist noch müde und erschöpft und schenkt sich deshalb einen Besuch der berühmten engen und tiefen Schluchten des Colorado, die man damals nur vom oberen Rand aus betrachten konnte. Wer mehr sehen will muss an Stricken herabgelassen werden oder halsbrechende Klettereien machen. Die Bahn überquerte den breiten Colorado an einer bequemeren Stelle über eine der mächtigsten Hängebrücken der Welt. „Hier kamen viele Wallopy-Indianer an die Bahn; es sind dies schaurig hässliche Menschen, besonders die Frauen; sie malen sich die Gesichter roth an, kleiden sich in grelle Farben, vier rothe, zusammenhängende Taschentücher bilden eine Art Burnus. Die babies werden auf Brettern festgebunden, über den Kopf eine Erhöhung aus Rohrgeflächt gemacht und das ganze in Tuch gehüllt, das sie nur ungern vor Fremden lüften. Die Männer, die in den Minen und an der Bahn arbeiten, sind schon civilisirter gekleidet, tragen aber doch noch einen Büschel Federn am Haarschopf als Schmuck. Die Todten werden verbrannt.“
Dann kam der Staat Kalifornien. Es war Mitte August und sehr heiß. Die Fahrt ging durch fruchtbares bewirtschaftest Land. Die Kornfelder sind abgeerntet. Riesige Flächen sind mit kurz gehaltenen Weinstöcken, Pfirsich- und Orangenbäumen bepflanzt. „In Pasadena überschlage ich einen Zug; es ist dies ein beliebter Winteraufenthalt der Amerikaner in ähnlicher Lage wie Bozen in Tirol. …. Gegen Mittag kam ich in Los Angeles an, einer großen, schönen, sehr belebten Stadt, wo ich für einen Tag wenigstens kurze Rast machte, aber es war so heiß, dass von Erholung nicht viel die Rede sein konnte. Deshalb fuhr ich auch nachmittags nach dem 11 miles entfernten Seebade San Monica, um mich durch ein Seebad zu erfrischen. Mit ziemlich starker Brandung schlagen die Wellen des Pacific-Ocean, den ich hier zum ersten Mal erblickte, an den breiten, sandigen Strand.“
Am nächsten Tag geht es weiter in Richtung San Francisco. Nach 18-stündiger Eisenbahnfahrt steigt Sophie Döhner in Raymond aus, um an einer mehrtägigen Wagenfahrt ins Yosemite Valley teilzunehmen. Auch diese Fahrt gestaltete sich recht anstrengend, so dass Sophie sich gleich am ersten Abend total erschöpft ohne dinner ins Bett legte, denn am anderen Morgen sollte es bereits um 6 Uhr weitergehen. Nach sechsstündiger Fahrt durch mächtigen Nadelwald immer höher hinauf ins Gebirge wurde schließlich der Inspiration Point erreicht. „Ein Jubelruf entfuhr uns Allen als wir plötzlich den wunderbaren Anblick des eigentlichen Yosemite Valley vor uns hatten mit seinen gewaltigen Felskuppen. Die Felsen steigen mit fast senkrechten Wänden zu Höhen von 3-6000 Fuß über dem Thal empor,das selbst bereits 4000 Fuß über dem Meere liegt.“
Übernachtung in einem Gasthof im Tal. „Gleich am Nachmittage machten wir Alle theils zu Pferde, theils zu Fuß eine Partie nach zwei herrlichen Wasserfällen, den Vernal und Nevada Falls. Der nähere Fußpfad führte so dicht an dem einen Falle vorbei, daß wir ganz durchnässt von dem feinen Sprühregen wurden; dann wieder hörten wir ganz in unserer Nähe das Rasseln von Klapperschlangen, deren es hier so viele giebt. Dadurch verging uns die Lust an Fußpartien, und wir nahmen gleich den Übrigen am nächsten Morgen auch ein Pferd, um den hohen Glacier point zu besteigen. Es ist eine großartige Natur und dabei doch nicht starr und düster, sondern wohltuend schön, und das Herz jubelt, und man fühlt sich frei und leicht und dankbar, daß man so erhabene Schönheit schauen darf. Wir verzehrten unser mitgebrachtes Frühstück unter der Veranda des kleinen Gasthauses. Dann begannen wir den Abstieg, den wir jedoch bald zu Fuß fortsetzten, weil es auf den Pferden zu ängstlich war. Es war allerdings glühend heiß an der brennenden Felswand und sehr beschwerlich im fußhohen Staube zu waten, so daß wir schließlich doch wieder aufstiegen, und gleich darauf kreuzte eine riesige, wohl 6 Fuß lange Klapperschlange unseren Weg, verschwand aber sofort in einer Felsspalte.“
Mit dem Zug und einer Fähre ging es dann weiter nach San Francisco. „Ich hatte mir die Ankunft schöner gedacht, aber es war nebelig und windig, als wir uns der Stadt näherten. Am pier, wo wieder kein Gepäckträger war, mussten wir unser Handgepäck selbst bis an die cable-car schleppen, die uns dann in kurzer Zeit ins Palace-Hotel brachte. Es ist eines der größten Hotels der Welt,
6 Stock hoch. …. Jedes Zimmer hat zwei Separatcabinette für die Garderobe und die Waschtoilette, zwischen je zweien findet sich ein Badezimmer. – Mein erster Gang war nach der Post und holte ich mir da einen ganzen Briefsegen, so daß ich den Nachmittag vollauf mit Lesen und theilweisen Beantworten zu thun hatte.“
Sophie bleibt mehrere Tage in der Stadt, besucht u.a. das Chinesenviertel, in dem 20 000 Chinesen dicht gedrängt leben, allen möglichen Handel treiben, „aber auch wahre Lasterhöhlen des Spiels und Opiumrauchens offen halten. Man soll eigentlich in Begleitung eines detective bei Nacht dieses Viertel besuchen, wo sich erst das richtige Treiben entfaltet; ich begnügte mich aber mit einem Tagesbesuch.“ Sie macht noch einige mehrtägige Reisen in die Umgebung, so z.B. an die Küste nach San José der sog. Garden City. Sie besucht die Lick-Sternwarte auf dem Mount Hamilton. „Meine Reisegesellschaft war ein junger, dort angestellter Professor mit seiner Frau und eine arme, von ihrem Manne verlassene Frau mit zwei kleinen Kindern, die als Dienerin zu diesem Ehepaar ging. James Lick, einer der ersten californischen Pioniere, hat von seinem Reichtum 750 000 Dollar zur Errichtung dieser Sternwarte vermacht, die erst 1888 vollendet worden ist. Das Postament, worauf das bis jetzt größte Teleskop der Welt (Linsendurchmesser 91 Zentimeter, 3000 fache Vergrößerung, Länge des Fernrohr 56 Fuß) ruht, umschließt den Sarg des Mr. Lick, gewiß das eigenartigste Grabmal der Welt.“ Außerdem besichtigte Sophie dort Instrumente wie einen Erdbeben-Messer, einen Messer der Sternbahnen u.a. „Am anderen Tage fuhr ich per Bahn weiter nach Monterey, dem fashionablesten Seebade der Umgegend, wo ich mir in dem elegantesten Riesenhotel del Monte vier schöne Ruhetage gönnte.“ Sophie war etwas enttäuscht, dass man nicht im Meer badete, weil es zu kalt dazu ist, „sondern unter einem Glaspavillon, in dem drei große, verschieden erwärmte Bassins sind, die täglich einmal frisch mit Seewasser gefüllt werden. Da das Wasser in dem einen zu heiß, in dem anderen zu kalt ist, so concentrirt sich die Hauptmenge der Badenden im mittleren, wo auch wieder Herren und Damen miteinander baden und an den Seiten die Zuschauer sitzen. Das Leben im Hotel ist sehr amüsant, es gibt immer etwas zu sehen und zu hören; viermal täglich ist Musik, und bei den Mahlzeiten, besonders Abends, entfalten die Damen einen Toiletten-Luxus, wie man ihn in Deutschland nur bei Hoffestlichkeiten sieht.
Es sind meist Alles Amerikaner, die ihr Vermögen erst in den letzten Decennien erwarben; die Jünglinge thaten noch nie etwas im Leben, sie kommen zur Tafel im Frack und Strohhut, mit faustgroßen Bouquets im Knopfloch. Sie gehören einem Club an, der als Sport das Schießen auf lebende Tauben betreibt, das ich gräulich finde. Dieser Club hat sich eine eigene Capelle von 75 Mann mitgebracht; da ist Abends noch besonderes Conzert, Ball nachher, und man hat Augenweide genug. Ich machte Bekanntschaft mit einigen Leuten, aber über die erste und einzige Frage, die jeder Amerikaner an jeden Fremden richtet: How do you like America? kommt man nicht viel hinaus. Wenn man freimüthig sagt, was Einem unangenehm aufgefallen ist, da hat man eben nicht die richtigen Menschen oder Ausnahmezustände getroffen, oder man ist eben im Urtheil nicht competent als from the old country kommend, von Europa, das die Yankee’s mit souveräner Gleichgültigkeit übergehen. Und sich nie mit einer Frage über darauf bezügliche Verhältnisse erkundigen. … Ausnahmen gibt es ja natürlich überall, und wenn der Amerikaner sein Vaterland verlassen hat und sich selbst auf Reisen in andere Länder begiebt, dann macht er einen völligen Umwandlungsprozeß durch, sehr zu seinem Vortheil oft, wie ich später öfter Gelegenheit hatte zu beobachten.
Die Umgebung Monterey’s bietet so viel Schönes, daß die Zeit mir allzu schnell verfliegt. Auf Point Lobos liegt ein Leuchtthurm, von dem man eine herrliche Fernsicht hat; merkwürdiger Weise bedient ihn eine Dame, die hier ganz alleine mit einem chinesischen Diener haust. In Amerika sind den Frauen viel mehr Wege geöffnet, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, als bei uns.“