Aus dem Reisetagebuch von Sophie Döhner , 1893 – New York
„Ich trat von Genua aus an Bord des Bremer Lloyd-Dampfers Kaiser Wilhelm II. meine Weltreise zunächst nach New York an. Das Schiff ist mit demselben Luxus ausgestattet wie die Dampfer der Hamburger Paketfahrt; die Cabinen sind luftig und groß, die Verpflegung ist vorzüglich. .. Wir sind über 200 Cajütspassagiere, meist Amerikaner, einige Italiener und Spanier, wenige Deutsche. .. Am Morgen des 12. Tages erst passiren wir die schmale, sandige Landzunge Sandy Hook, wo die Zollbeamten an Bord kommen.
In Hoboken ist der Pier wo die großen Europäischen Dampfer anlegen. Es dauert lange , ehe wir festgetauet sind; vom wharf winken und nicken Unzählige, die Verwandte und Freunde mit dem Schiff erwarten, und es befällt mich ein etwas unbehagliches Gefühl, nun bald ganz allein und fremd den neuen Welttheil zu betreten, da ich auf der Überfahrt bereits gemerkt habe, dass die Amerikaner wenig
zuvorkommend oder theilnehmend sind und die Parole heißen wird : Jeder für sich! Help yourself! Eilige Abschiede werden genommen oder auch ganz vergessen.“ In einem Schuppen an Land bekommt man sein Gepäck (die Effecten) wieder.
„Hier findet die Zoll-Revision statt, dann erscheint ein Bediensteter der Express-Company, ein Institut, das wir noch nicht kennen, fragt, in welches Hotel man seine Koffer geschickt haben will, gibt uns einen Check dafür und man ist frei, zu gehen wohin man will. Da Droschken nur in geringer Zahl vorhanden sind und bis zum Mittelpunkt der Stadt die Kleinigkeit von 20 Mark kosten, mache ich es wie die Amerikaner, gehe zur nächsten Fähre und lasse mich übersetzen. … Drüben nehme ich eine Pferdebahn, die mich direct bis vor das Hotel im Broadway führt, das wie alle großen hiesigen Gasthäuser, einen Separat-Eingang für Damen hat, so daß man nicht die große hall zu passiren braucht, wo die Stiefelputzer und Zeitungsverkäufer stehen und die rauchenden Herren sich meistens aufhalten. Per lift werde ich zum 5. Stock hinaufbefördert; das Erste, was mich im Zimmer nicht gerade beruhigt, ist ein sogenannter Fire-Escape, ein Apparat, um sich bei etwaiger Feuersgefahr aus dem Fenster zu retten. Die elektrische Klingel, einmal in Bewegung gesetzt, bringt hier wie überall in Amerika unfehlbar einen Krug mit ice-water zum Vorschein; andere Wünsche werden mit mehr Befremden als Bereitwilligkeit erfüllt, da der Amerikaner nicht viel Bedienung auf dem Zimmer beansprucht.“
„Es gehörte zuerst etwas Mut dazu, sich in das Getriebe der Weltstadt zu stürzen; besonders im Broadway, der Hauptverkehrsader, ist der Verkehr von Wagen und Fußgängern riesig. …. Durch einige der Avenues fahren außer den Pferdebahnen noch die Eisenbahnen in Höhe des 2. Stockwerks, die so genannten Elevated, ununterbrochen Tag und Nacht für den Preis von 5 Cent (20 Pfennig) auf jegliche Entfernung. Man wirft das Geld am Eingang bei der Drehscheibe, wo ein controlierender Beamter sitzt, in einen Glaskasten; durch diese Einrichtung wird viel an Schaffnern und Billeteuren gespart; in den trams und Omnibussen ist es ähnlich. Die 4. und besonders die 5. Avenue mit eleganten Privathäusern, sind die vornehmsten Straßen, hier ist Nachmittags großer Wagen-Corso bis zum Central-Park, einer wundervollen, ausgedehnten Anlage mit mehreren Seen, großartigen Terrassenanlagen, herrlichen Waldparthien und Alleen schattiger Bäume. Er erstreckt sich weit über eine Stunde von 59. bis zu 110. Straße. Ungefähr in der Mitte liegt das große Metropolitan Museum of Art, wo ich mich viele Stunden aufhielt. … Ich sehe, die Amerikaner sind jetzt, wo ihr Kunstsinn erwacht und ihr Stolz verlangt, ebenfalls große Sammlungen zu besitzen, gefährliche Concurrenten bei der Erwerbung neuer Funde, und ihr großartiger Reichtum wird gewiß oft den Sieg davon tragen.“
Sie berichtet dann von einer 1 ½ stündigen Eisenbahnfahrt nach Westpoint, wo sich die Kriegsakademie der Vereinigten Staaten befindet. … Ich kann nicht finden, daß die
gewöhnlichen Eisenbahnwagen besser sind als die unsrigen, wie alle Amerikaner behaupten. Es sind lange Wagen mit Gang in der Mitte und ungefähr 24 Sitzen für je zwei Personen rechts und links, aber nirgends ein Brett oder ein Netz, wo man irgend welches Handgepäck lassen könnte, weshalb denn auch das Institut der Gepäckträger an den Bahnhöfen überhaupt nicht existirt. Man sieht meist nur den Rücken seiner Mitpassagiere, und selbst wenn man tagelang in demselben Coupé fährt, bekümmert sich selten ein Mensch um den anderen, und alle Auskünfte werden von den selten erscheinenden Schaffnern so kurz wie nur irgend möglich ertheilt. Sehr angenehm jedoch ist es, daß sich in jedem Wagen frisches Eiswasser zum Trinken und Waschen befindet, und daß ein new’s agent mit Zeitungen, Büchern und Bildern, sowie Frucht- und Kuchenhändler die Reisenden stets nach Bedarf mit Lectüre und Erfrischungen versorgen, was ich auf langen Touren sehr schätzen lernte. Sehr beliebt ist das sogenannte pop-corn.
Westpoint ist ein hochgelegener Ort und „macht einen sehr freundlichen Eindruck mit
seinen schmucken Häuschen inmitten Gärten für die Offiziere und den großen Cadettenhäusern, der Meßhalle, Bibliothek und Kirche, Alles architektonisch schöne Bauten, die nicht an den militairischen Zweck äußerlich erinnern. Vor diesen breitet sich ein weiter platz aus, wo die Uebungen abgehalten werden.; ich sah einer solchen der Cavallerie zu, allerdings nur 30 Pferde; aber Amerika hat ja Gott sei Dank kein großes, stehendes Herr nöthig wie wir.“
„An dem einzigen Sonntage, den ich in New York zubrachte, besuchte ich Morgens verschiedene Kirchen. Ich wohnte dem Gottesdienste in der Episcopal Grace Church bei, dessen Ritus sehr ähnlich dem der katholischen Messe ist; die Predigt ist nicht der Mittelpunkt der Andacht, sondern bildet nur ein unbedeutendes Anhängsel am Ende; wunderbar schön aber ist der Gesang von einem trefflich geschulten Damen- und Herrenchor ausgeführt.
Zum frühen Sonntags-Dinner ging ich zu einer befreundeten Familie in Brooklyn über die große Kettenbrücke, welche seit 1883 die beiden großen Städte bequemer verbindet, als früher durch Fährboote geschah. Sie hat zwei Fahrwege, zwei Schienenstränge und in der Mitte eine Promenade für Fußgänger. Ununterbrochen fährt eine Eisenbahn für 3 Cents hin und her, denn es ist ein gehöriger Weg zu Fuß, aber ich zog ihn doch vor wegen der herrlichen Aussicht, den er auf den Hafen gewährt. Nachmittags machten meine Bekannten mit mir eine weite Spazierfahrt in ihrer Equipage: der Herr führte selber die Zügel und schnell wie der Wind sausten wir durch den frühlingsgrünen Prospect-Park und den breiten Ocean-Park-drive entlang nach Coney-Island, dem beliebtesten Sommerbadeort in der Nähe. Ein plötzlicher Nebel ließ uns nichts vom Meer sehen, so musste ich mich begnügen, das Volkstreiben in den unzähligen Vergnügungslocalen etwas zu beobachten, das sehr an unser St. Pauli erinnerte.
An den folgenden Tagen sah ich mir noch manche der großen geschäftlichen Bauten von Innen und Außen an, die verschiedenen Börsen und Banken , die Lesesäle der großen Bibliotheken, den Hauptmark, den schönen, parkähnlichen Kirchhof Greenwood, und dann begab ich mich eines Morgens wieder hinüber nach New Yersey, von wo man per Bahn in eintöniger Fahrt nach drittehalb Stunden Philadelphia mit über eine Million Einwohner (doch die New Yorker nennen die Stadt ein großes Dorf) erreicht.
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