Mexiko

Reisetagebuch von Sophie Döhner, 1893 – Mexico

„Die Stadt Mexico  liegt noch 8 Stunden per Bahn von Querétaro entfernt. Am Bahnhof wurde ich von meinen Vettern und ihren mexicanischen Frauen empfangen und in das Haus des jüngeren geführt, wo ich während meines vierzehntägigen Aufenthalts die herzlichste Aufnahme fand, was mir sehr wohl nach dem Alleinreisen that.“

MexicoCityCathedral„Den Mittelpunkt der Stadt bildet die Plaza, an ihr liegt der Nationalpalast, das Rathhaus, die Münze, lauter niedrige Gebäude mit flachen Dächern und Colonnaden davor. Die eine Seite begrenzt die imposante Cathedrale, die an der Stelle des einstigen Aztekentempels errichtet ist. … Die Mitte der Plaza nimmt ein reizender Garten ein; von hier fahren sämtliche Pferdebahnen nach allen Richtungen und concentrirt sich überhaupt das öffentliche Leben. An einer Seite ist der Blumenkiosk, wo entzückende Bouquets und Kränze billigst zu kaufen sind, an der anderen Seite scheinen die Buchhändler  und öffentlichen Schreiber ihre Niederlage zu haben. In nächster Nähe der Plaza sind die Haupt-Geschäftsstraßen mit schönen großen Läden und  auch  einigen  höheren  Häusern, im  Ganzen  aber  machen  all’  die entfernteren  Straßen auf den neu angekommenen Europäer einen unfertigen Eindruck wegen der niedrigen, einstöckigen, ungleichen Häuser, die nach außen wenig Schönes zeigen, es concentrirt sich eben Alles auf den blumengeschmückten Patio im Innern, in den die Zimmer münden.

Nächst der Plaza interessirte mich am meisten der große öffentliche Park inmitten der Stadt, die Alameda, mit herrlichen alten Bäumen, zumeist Riesen-Aralien, Springbrunnen, Statuen usw. Hier ist Sonntag Vormittags Musik und der allgemeine Spaziergang, während Nach-mittags im Paseo spazieren gefahren wird. Das ist eine breite, mehrere Kilometer lange, mit Eucalypten bepflanzte Promenade, welche Kaiser Maximilian anlegen ließ. Der Weg führt in gerader Linie auf den Park des Schlosses Chapultepec zu, dem einstigen Palaste Montezuma’s, der in seiner jetzigen Gestalt von den spanischen Vicekönigen umgebaut, von Kaiser Maximilian ausgeschmückt wurde und nun zu einer Militärschule umgewandelt ist.

Die Umgegend der Hauptstadt ist nach jeder Richtung hin sehr hübsch; eines Sonntags machten wir einen Ausflug an dem Viga-Canal entlang nach verschiedenen Dörfern S. Anita, Mexicaleingo und Ixtapalapa, die alle von Indianern bewohnt werden, welche Früchte und Gemüse bauen, die sie dann auf ihren flachen Booten, den Canoas, auf diesem Canal in die Stadt bringen. Hinwärts treibt sie der Strom, denn der See, aus dem das Wasser fließt, liegt 4 Fuß höher als die Stadt, aufwärts aber müssen  sie  die  Boote  vom  Ufer aus an  Stricken  ziehen. Früher, ehe  Dämme und
Canäle gebaut wurden, war die ganze Gegend meist unter Wasser; da legten die Indianer  Flöße  darauf, bedeckten  diese  mit Erde  und  auf  diesen  schwimmenden
Gärten (Chinampas) bauten sie ihr Gemüse an. Ixtapalapa ist ein unscheinbares Dorf, hat aber eine historische Vergangenheit, da hier Cortez zuerst mit Montezuma zusammentraf. Die jetzigen Bewohner hängen noch an aztekischen Traditionen, die sie mit christlichem Mythen vermischen.

Sophie Döhner nutzt ihren 14-tägigen Abstecher nach Mexico zu intensiven Reisen im Land. Erstmals stößt sie an ihre Grenzen: „Ich würde sehr gerne eine der alten Stätten indianischer Kultur im Innern des Landes besucht haben, aber leider ist das zu umständlich für eine einzelne Reisende. So musste ich mich begnügen im archäologischen Museum die indianischen Alterthümer eingehend zu besichtigen.“

„Um doch auch den schönen südlichen Theil des Landes kennen zu lernen, benutze ich eines Tages die Bahn hinunter nach Vera-Cruz. In den ersten fünf Stunden blieb die Gegend noch ziemlich einförmig und der Staub plagte uns sehr; dann aber änderte es sich plötzlich, nahe bei Esperanza durchbricht die Bahn das Gebirge, und umzieht es  in  weiten  Curven, von der Höhe sieht  man hinab in schwindelnd tiefe Schluchten,
die auf eisernen Brücken passiert werden, um am jenseitigen Ufer wieder neue Höhen zu erklimmen. Es ist eine höchst interessante Fahrt und der Bau ein Wunder der Ingenieurkunst. In Orizoba machte ich Halt, wo ich sehr gut im Hotel de la Borda aufgehoben war, das  ein  deutscher Wirth, ein Hamburger  Landsmann, führt. Wie ein deutscher Ort im Gebirge liegt das freundliche Städtchen da mit roten Ziegeldächern und hohen Kirchthürmen. Ein schäumender Bergfluß, den altersgraue Steinbrücken überspannen, treibt Mühlen im Grunde, nur die Vegetation an seinen Ufern, üppige Bananen mit ihren Riesenblättern, gemahnt an den Süden.

juarez2Früh am nächsten Morgen wollte ich die Reise nach Vera-Cruz fortsetzen und von dort ohne Aufenthalt, den mir jeder wegen des herrschenden Fiebers, dem Bomito, widerrrieht, nach Jalapa weiter fahren. Aber der Mensch denkt und unvorhergesehene Hindernisse lenken! Kaum ½ Stunde von Orizaba entfernt, als ich mich gerade so recht an der herrlich im Morgenlicht  leuchtenden Schneepyramide des Pic von Orizoba freue, wird Halt gemacht. In der Schlucht, die wir zu passiren haben, ist vom gestrigen Regen eine große Erdmasse auf die Schienen gespült worden. Es muss erst eine Locomotive mit Mannschaft hertelefonirt werden und bis Alles in Ordnung ist vergehen mehrere Stunden. Dann nachdem der Engpaß glücklich hinter uns liegt, kommen wir durch die großartigste Strecke des Weges, die Barranca von Metlac und nun von Cordova an sind wir in der heißen Zone, der Tierra di calente. Dunkelgrüne, niedrige Caffeesträucher, beschattet von hohen Mango-Bäumen, wechseln mit Zuckerrohr-, Bananen- und Maisfeldern, dazwischen einzelne Palmen, Agaven, Cacteen. Hier sehe ich zum ersten Male kraftstrotzende, üppige, tropische Vegetation. Und überall dazwischen die Jagals, die Bretterhütten der Eingeborenen mit hohem Schilfdach, nur hier und da ein Steinhaus mit vorgebautem, auf unbehauenen Baumstämmen  ruhenden Corredor, in  dem  zahllose Vogelbauer hängen; und nun zu
dem Allen die Bevölkerung in ihrer ureinfachen, malerischen Tracht mit allem was sie auf dem Nacken oder dem Kopfe daher- schleppen, oder was sie dem geduldigen Eselein aufbürdet. Es ist Augenweide genug da, aber der Magen möchte auch sein Recht haben, jedoch an den wenigen kleinen Stationen giebt es nichts und es wird heißer und heißer. Als wir in Purga, eine Stunde vor Vera-Cruz, ankommen, erklärt mir der Conducteur, hier kehrten wir um; man hätte wegen der Verspätung schon den von unten kommenden Zug heraufgeschickt, ich könne zwar mit der Locomotive hinunter fahren, aber dann müsse ich in Ver-Cruz übernachten, denn der Zug nach Jalapa sei bereits fort. … Ich kehrte also wieder um, was nicht ohne Überwindung geschah und auch nicht ohne Anstrengung, denn erst Abends 7 Uhr kam ich halbverhungert in Orizaba wieder an, wo der Wirth sich sehr wunderte.“

Sehr früh am Morgen ging Sophie Döhner auf den Markt, zu dem sehr viele Indianer aus der Umgebung  in die Stadt gekommen waren. Der Markt fand in einer mächtigen, eisernen Markthalle statt. Trotz der großen Menschenmenge ging es, wie überall in Mexico, dort ruhig zu, ohne jegliches Gezänk und Geschrei; und auch als Fremder wurde man nirgends ungehörig angefasst, angegafft oder angebettelt, nur freundlich angerufen.

Nach siebenstündiger  Fahrt wurde das  nächste Ziel, die  ziemlich große Stadt Puebla mit sehr vielen Kirchen, erreicht. „Die Lage der Stadt in der Nähe der großen Vulkane, die  ich hier zum  ersten Male völlig  klar und  unverschleiert sah, ist  sehr schön; noch besser genoß ich die Aussicht auf dieselben in der offenen Pferdebahn auf dem Wege nach Cholula. Dieser Ort ist nur klein, hat aber so riesige Kirchen, dass man gar nicht begreift, wozu dieselben hierher gebaut sind. Da ist eine, die Capilla real, gebaut in Art der Moschee von Cordoba in Spanien, die sieben Schiffe hat, jedes mit sieben flachen Kuppeln gedeckt, …. Daneben die festungsartige, große Kirche S. Francisco und ein riesiges Colleg, das Ganze umschlossen von einer zinnengekrönten Mauer. Der weite Innenraum gras- und blumenbewachsen, verödet, menschenleer, nur ein einsames Kreuz in der Mitte. Es machte auf mich einen eigenartigen Eindruck, dies Reis spanischer Jesuiten-Cultur auf einen Boden verpflanzt, wo es nicht gedieh. Die Spanier haben dem Lande wohl einst mit Blut und Brand das Christentum gebracht und Kirchen gebaut, aber die Segnungen desselben sind ausgeblieben; die fremden Eroberer waren die Geißel des Landes, nach drei Jahrhunderten wurde das verhaßte Joch abgeschüttelt und nun stehen nur noch die Kirchen als Zeugen der einstigen Herrschaft da.“

MexicoCitySquareZurückgekehrt in die Stadt Mexico haben die Vettern von Sophie Döhner ihr täglich etwas Neues gezeigt. Besonders beeindruckt war sie von einem Ausflug nach Toluca, der eigentlichen Hauptstadt der Provinz Mexico. „Der Weg dahin ist so interessant, weil er in die sogenannte kalte Zone, die tierra fria, führt. Die Bahn erklimmt eine Höhe von 10 000 Fuß und windet sich  ganz ähnlich wie auf dem Wege nach Vera-Cruz an tiefen Schluchten entlang, die von oben bis unten bewaldet sind, meist mit herrlichen  Riesentannen.“ Bei  diesem Ausflug  lernte  Sophie   auch das Nationalgetränk Pulque
kennen. „Pulque wird von den hier entsetzlich schmutzigen, zerlumpten Indianerfrauen an jeder Station angeboten; ich habe diesem Getränk, das gährendem Most ähnelt, keinen Geschmack abgewinnen können, aber die Pflanze interessirte mich sehr. Sie gedeiht am Besten in einer Höhe von über 7000 Fuß.  .… . Jeden Morgen bringen Extrazüge dies Getränk in die Hauptstadt in die Schenken, die Pulquerien, wo sich das niedere Männervolk sammelt und die Weiber, wie auch die Dienstboten der besseren Stände ihren täglichen Hausbedarf holen, denn aufbewahrt kann das Getränk nicht werden.“

„Endlich galt es doch wieder, sich von den lieben Verwandten und ihrem schönen Wohnort zu trennen; eines Abends bei sündfluthartigem Regen, so dass meine Abfahrt ganz der Ankunft glich, brachten mich Alle an die Bahn, beluden mich mit großen Kuchenpaketen, die ich nur widerstrebend annahm, aber in der Folge sehr schätzen lernen sollte, und dann nahmen wir herzlichen Abschied von einander. …. Die Rückreise bis El Paso erfolgte auf ganz demselben Wege wie die Hinreise, nur dauerte sie 25 Stunden länger. In der Gegend zwischen Aguas Calientes und El Paso waren nach dreijähriger Trockenheit inzwischen so furchtbare Regenströme nieder-gefluthet, dass an mehreren Stellen der Bahndamm unterwaschen und fortgespült worden war. Überall musste gewartet werden, bis die Reparaturen erledigt worden waren, einmal sogar die ganze Nacht hindurch 14 Stunden lang. Und dies alles bei glühender Hitze. Es  gab  nichts zu essen, nur  morgens  erschien  ein Mann  mit einer Waschkanne voll dicken, schwarzen Caffee’s. Da segnete ich doch meines Vetters
großes Kuchenpaket. Mittags konnten wir auch nicht die richtige Eßstation erreichen, da wurden Passagiere, Maschinisten, Conducteure, allesammt in ein niedriges Local gepfercht und uns fürchterliches Chile-Ragout, in ranzigem Fett schwimmende Eier und steinhartes Brot vorgesetzt. So ist auf Reisen nicht immer alles Vergnügen, und es ist oft mit Strapazen, Aufregung und Ärger verknüpft. Ich war die einzige Dame im Zug, und da nur einige wenig ansprechende Localreisende im Coupé waren, völlig auf mich allein angewiesen; zum Glück hatte der amerikanische News-Agent eine fliegende Leihbibliothek mit den neuesten amerikanischen Romanen, und dann vertrieb ich mir die Zeit mit zwei kleinen Chihuahua-Hunden, die der Agent in Californien theuer verwerten wollte. So freute ich mich denn, als das Land Mexico mir endlich wieder im Rücken lag, obgleich es mir sehr interessant gewesen war, dasselbe kennen zu lernen. Es ist so völlig abweichend von seinen amerikanischen Grenznachbarn, aber leben möchte ich auch hier nicht, dazu ist es noch zu arm an idealen Interessen; wenn auch nicht die hastende Dollar-Jagd hier herrscht, so nimmt doch das tägliche Triebrad des Erwerbes alle Zeit und Kräfte der Männer wenigstens völlig in Anspruch, und den Frauen fehlt es an tieferer Bildung und folglich auch an höheren Interessen.“

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