China heute

Ein Trip von Hongkong nach Beijing ( Peking )

von Rolf Kuffer

china1Im letzten Familienbrief haben Euch Hildegard und Rolf mitgenommen auf eine Reise zu ihren Kindern nach Hongkong, um mit diesen Rolfs 75. Geburtstag zu feiern. Und wenn man, zumal als Rentner, einen Flug von elf bis zwölf Stunden hinter sich bringt und rund drei Wochen unterwegs ist, unterbricht man gerne einmal den dortigen Aufenthalt durch einen Abstecher in eine noch unbekannte Region. Noch dazu auf eine Einladung hin !

Ja, liebe Freunde, alle drei Jahre etwa war es uns vergönnt, unsere Kinder bzw. die heranwachsenden Enkelinnen in Hongkong zu besuchen. So kamen wir ganz nebenbei auch schon einmal nach Guilin und zum Li-Fluss in Südchina, nach Borakai auf den Philippinen, nach Phuket in Thailand und auch nach Hanoi mit der Ha-Long-Bucht in Nordvietnam. Diesmal aber war es ein dreitägiger Trip nach Peking, mit einer Fahrt zur „Großen Mauer“. Ohne Zweifel trugen diese drei Tage zur Erweiterung unseres Horizontes bei. Denn grau wie alle Theorie, so war auch unsere Vorstellung von der Hauptstadt des Riesenreiches China und der sie umgebenden Landschaft, von den Menschen die dort in nachmaoistischer Zeit leben, ebenso wie den sie nach wie vor beherrschenden Kommunismus. Hat dieser, gemessen an dem aller Welt sichtbaren, geradezu gigantischen wirtschaftlichen Erfolg, also doch eine dem amerikanisch-zentraleuropäisch geprägten Kapitalismus überlegene Existenzberechtigung bewiesen ? Haben diese Menschen, denen mit der „Kulturrevolution“ jegliche kulturelle Vergangenheit genommen scheint, ja mehr noch, ausgetrieben wurde, überhaupt noch ein geschichtliches Bewusstsein, ein uns vergleichbares Werteempfinden, das uns auf einen gemeinsamen Nenner bringen könnte ?

Das waren für uns zumindest im Hintergrund mitschwingende Fragen, die uns einfach neugierig machten, mit eigenen Augen in dieser nur kurzen Zeit sehen zu können, in wieweit die von Medien und Reisebeschreibungen in uns erwachsenen Vorstellungen mit der Realität übereinstimmen.

Beijing heute:

Nach zwei Stunden Flugzeit landen wir von Hongkong kommend ( hier wie auch in weiteren Details bemühe ich den DUMONT-Reiseführer), auf dem gigantischen, von keinem Geringeren als dem Briten Sir Norman Foster ( man erinnert sich bei diesem Namen u.a. der neuen Kuppel des Reichstages in Berlin ) geplanten und für Milliarden Dollar gebauten Flughafen im Süden der Stadt. Mit drei Terminals, durch ein unterirdisches Straßen- und Bahnnetz mit einander verbunden, deren Hallen einen Drachen – Glück bringende Wesen aus der chinesischen Mythologie – symbolisieren. Deren rote Säulen mit dezent goldenem Dach wecken Assoziationen zu den Palästen und Tempeln der Stadt. Hie Moderne, dort Tradition, gebaut für die Zukunft, zugleich aber auch zur Schau Stellung eines starken, prosperierenden Landes.

china2Fünfzehn Millionen Menschen leben in dieser Stadt. Wird die Silhouette Hongkongs wie die anderer Großstädte von einer Vielzahl architektonisch individuell gestalteter Towers ganz unterschiedlicher Dimension geprägt, reiht sich hier ein Hochhaus ans andere, ziemlich gleich hoch und nur selten etwas auffällig strukturiert. War der in seiner Ummauerung erhalten gebliebene Kaiserpalast bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts von einem Meer einstöckiger, traditioneller „Vier-Harmonien-Höfe“ mit engen Gassen umgeben, sucht man heute vergebens eine Altstadt und einen Stadtkern. Einzig die schon eben erwähnte Kaiserpfalz, auch „Verbotene Stadt“ genannt, lässt zusammen mit der etwa fünfzehn Kilometer außerhalb im Norden Pekings am Steilhang einer Hügelkette gelegenen „Sommerresidenz“ bedeutende und sehr eindrucksvolle Historie aufscheinen. Alles andere musste in der der berühmt-berüchtigten „Kulturrevolution“ der Moderne weichen, einer quasi gesichtslosen, ja geschichtslosen Zeit !

Nun lässt sich im Grunde nirgends auf dieser Welt die jeweilige Hauptstadt mit dem sie umgebenden Land gleichsetzen. Und das gilt hier wohl in ganz besonderem Maße. Kilometerweit reihen sich hier fünfzehn bis zwanzig Stockwerke hohe Häuser ziemlich einförmig aneinander, getrennt durch breite, mehrspurige Boulevards, auf denen der nicht versiegende Verkehrsstrom zwar oft stockend, doch völlig unaufgeregt dahin fließt, ohne Tatü-Tata und ganz ohne Hupen ! Viele Taxen und Kleinwagen, ansonsten aber auch auffallend viele Premium-Fahrzeuge überwiegend deutscher Marken, die ja teilweise auch schon dort gebaut werden. Mopeds und Roller sind der starken Smogbelastung wegen aus der Stadt verbannt und Fahrräder kaum noch zu sehen. Auch die Kleidung ist keineswegs mehr einheitsgrau, sondern bunt wie auf der ganzen Welt.

Es stellt sich sogleich die Frage was denn vom „Maoismus“ noch übrig geblieben ist, und wie sich der heute noch immer vom Kommunismus weniger regierte als vielmehr reglementierte Vielvölkerstaat nach außen für kurzzeitig verweilende Touristen darstellt.

Wir waren im April 2011 dort, zu einer Zeit also, da sich eine ganze Reihe von Mittelmeerländern mehr oder weniger erfolgreich gegen ihre Despoten erhoben und es auch in Tibet und der Mongolei rumorte. Die Auswirkung für das Reich der Mitte ist spürbar: Militärpräsenz allenthalben, wenn auch sehr zurückhaltend, immer zwei im Winkel zu einander stehende Wachsoldaten in tadelloser Uniform, aber auch ebenso oft scheinbar gelangweilt herumstehende Zivile mit wachsamem Blick auf die, touristischen Zielen entgegen drängenden, Menschenansammlungen, die sich schon mal Taschenkontrollen und genauere Blicke auf Fotoausrüstungen gefallen lassen müssen.

Hat man vom „Platz des Himmlischen Friedens“ aus, unter einem übergroßen Bild Mao’s hindurch, das erste Tor des Kaiserpalastes, das „Tor des ersten Friedens“ über eine Schwelle hinweg durchschritten, welche die bösen Geister, nicht aber uns vom Eindringen abhalten soll, so öffnet sich über einen Platz hinweg in etwa einhundert Metern Abstand der Blick auf einen zweiten farbenprächtigen Querbau mit dem „Tor des zweiten Friedens“, dem noch weitere Tore folgen.

Auf dem sich hinter dem zweiten Tor öffnenden Platz trafen wir auf eine etwas seitwärts angetretene Hundertschaft schneidiger Soldaten. Die sollen wohl augenfällig den Machtapparat der Gegenwart repräsentieren. Mit Ausnahme nur eines dieser vielen Gebäude, einschließlich der sie umrahmenden Seitenbauten, kann man keines betreten. Durch nahezu blinde Glasscheiben hindurch fällt der Blick auf verstaubtes Mobiliar. Sinnfälliger könnte sich das Desinteresse an einer Präsentation vergangener Pracht, abgesehen von reinen Äußerlichkeiten, wohl kaum offenbaren.

Herrlich anzusehen, aber dann die sich schon dem Ausgang nach hinten anschließenden Gärten, die, weil hier Frühling, wie in dem auf gleichem Breitengrad liegenden Europa, bei unserem Besuch in schönster Blüte standen. Gleiches ließe sich von der etwa eine halbe Fahrstunde im Norden außerhalb der Millionenstadt wirklich malerisch über einem großen See, an einen nach Süden ausgerichteten Berghang gelegenen Sommerresidenz sagen. Die Anlage befindet sich auf einem Areal von zweihundertvierzig Hektar. Der Sommerpalast wurde die Residenz vom Qianlong-Kaiser und im zwölften Jahrhundert seiner Mutter anlässich ihres 60. Geburtstags zum Geschenk gemacht. Bis in die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts diente sie ihrem ursprünglichen Zweckals Regierungssitz

Von besonderem Interesse für uns war dann natürlich noch die Fahrt hin zu „Großen Mauer“. Doch unseren Bericht darüber wollen wir für eine weitere Ausgabe des Familienbriefes aufsparen, der dann auch hier veröffentlicht wird.

Die „Große Mauer“

Chinesische Mauer-Hintergrundinformation

china4Heute nun wollen wir Euch noch unsere Eindrücke schildern, welche wir bei einer Tagesfahrt zur GROSSEN MAUER gewinnen konnten.
Begleitet wurden wir von einer jungen Chinesin, die zwar hübsch war und gut deutsch sprach, von der Geschichte ihres Landes aber keine Ahnung hatte. Dieses Manko konnte jedoch unser sehr sympathischer Fahrer eines Mietwagens ausgleichen, der seinerseits wiederum auch gut englisch sprach. Er fuhr uns, unsere Tochter Christiane, Hildegard und mich über die nach Nordosten führende Autobahn ca. 120 km von Peking aus durch den nördlichsten Teil der GROSSEN EBENE, die sich etwa in der Größe unserer BRD von Wuhan über Nanking und Shanghai im Süden wenig nördlich des 30. Breitengrades bis Peking am 40. Breitengrad im Norden erstreckt. Nach Westen wird diese weite Ebene von einem bis zu 2ooo m hohen Gebirgsgürtel als einer natürlichen Abgrenzung zur Mongolei hin umgeben, von wo deren Reiterheere über Jahrhunderte hinweg immer wieder in das fruchtbare Flachland einfielen und auch seine gen Westen verlaufenden Handelswege, die so genannte SEIDENSTRASSE durch die Wüste Gobi, bedrängten. Es musste sich aber auch nach Nordosten hin verteidigen, von wo die Mandschuren anstanden, welche dann auch zu Ende der Ming-Dynastie 1644 die Mauer überrannten und China unter die mandschurische Herrschaft der Qing-Dynastie brachten.
Man muss sich die immensen Ausmaße dieser chinesischen Landmasse anhand einer Weltkarte oder gar eines Globus einmal verdeutlichen, um zu verstehen, welcher Anstrengungen es bedurfte, um alleine schon diesen relativ „kleinen” Landesteil am Gelben Meer gegen räuberische Einfälle und Angriffe im Westen aus der Mongolei und im Norden aus der Mandschurei heraus zu schützen. Nur in dieser Relation kann man ermessen, was es bedeutete, im Verlauf von etwa 150 Jahren unter der Ming-Dynastie eine vor allem im hohen Bergland um Peking massive, wehrhafte, in nur kurzen Abständen von einigen hundert Metern mit Wehrtürmen bestückte Mauer von rund 6350 Kilometern Länge zu errichten, zu verteidigen und zu unterhalten. Klein-Rotenburg lässt grüßen! Es ist das größte, jemals von Menschenhand in freilich längeren Zeiträumen erschaffene und selbst aus dem Weltraum deutlich erkennbare Bauwerk, das sich in nicht immer zusammenhängenden, großen Teilstücken über insgesamt rund 9ooo km von der Mandschurei im Nordosten bis weit in den Westen des Landes, über die innere Mongolei bis in die Wüstengebiete von Xinjiang erstreckt.
Uns unserem sympathischen Fahrer anvertrauend, gingen wir „die Mauer” in dem besonders eindrucksvollen Gebirgsabschnitt nördlich von Peking bei Jinshanling an. Doch schon der Weg dorthin, zunächst über die eingangs erwähnte Autobahn und dann durch Ortschaften hindurch war für uns insofern auch sehr interessant, als wir ja ein Bild davon zu gewinnen suchten, was sich am Rande der Großstadt und weiter außerhalb tut; Ob sich auch dort Industrieanlagen fänden, in denen die uns überschwemmenden Billigprodukte hergestellt werden und inwieweit man noch von „Natur” im Sinne ihres Erhaltes sprechen kann, wie wir sie verstehen.
Nun, die ursprünglich bäuerliche Besiedlung, das ist nicht anders als bei uns, ist längst weit hinaus gedrängt worden. Und nicht anders ergeht es der nachfolgenden kleinindustriellen Ansiedlung: Man umgibt ein baulandträchtiges Areal mit einem hohen Sichtschutz und reißt dahinter ab, was neuen Hochhäusern oder Villenghettos im Wege steht. Werkhallen sieht man im Großraum Peking relativ wenig; produziert wird in anderen Regionen mit großem Potenzial an billigen Arbeitskräften.
Was uns aber besonders ins Auge fiel, ist die von oben zentral gesteuerte Wiederaufforstung des Landes entlang der Ausfallstraßen. Der enorme Holzverbrauch zu Zeiten Maos, als in jedem   Hinterhof   eine   kleine    Schrottschmelze    stehen    sollte, hat zu nachhaltiger Beeinträchtigung des Klimas geführt, der man nun gegen- zusteuern sucht. Lange Trockenzeiten – als wir dort waren, hatte es seit fünf Monaten nicht mehr geregnet! – lassen  Flüsse  und  Brunnen  versiegen. Mit  großem  Aufwand werden nun beiderseits der Fernstraßen auf einer Breite von jeweils einigen hundert Metern zur Straße hin  Sträucher, dahinter in  kilometerlanger Reihe Trauerweiden – sie hatten gerade ihr lichtgrünes Frühlingskleid angelegt – und andere schnell wachsende Baumarten gepflanzt, per Handarbeit Baumscheiben angelegt und mittels Tankwagen mit von weit heran geholtem Wasser begossen. Nahe gelegene Fluss- bzw. Kanalbetten, die wir querten, lagen trocken!
Unter diesen beiläufigen Eindrücken näherten wir uns unserem Tagesziel, das sich schon seit einiger Zeit hoch oben über einem Bergkamm deutlich vom lichtblauen Himmel abhob. Über eine gut begehbare weil baulich unterhaltene Distanz von etwa 10 km Länge zieht sich die GROSSE MAUER in diesem wohl eindrucksvollsten Abschnitt zwischen Jinshanling und Simatai über den „Kleinen und Großen Goldberg“ hin. Er ist Teil des im 14. Jhdt. unter dem Begründer der Ming-Dynastie Zhu Yuanzhang begonnenen und im Laufe von 150 Jahren vollendeten neuen Walles von letztlich 6350 km Länge. Besonders zahlreich sind hier die oft in nur kurzen Abständen aufeinander folgenden 35 Wachtürme, welche man auf der Wanderung passiert oder auch nur von Ferne eräugt.
china1An einem großen Parkplatz angekommen, erreichen wir, an einem Besucherzentrum und Souvenirläden vorbei, die Talstation einer Seilbahn, welche uns schon einmal die Mühe des Anstiegs erspart. Über blühende Mandelbäume hinweg schwebend, öffnet sich vom Lift aus vor uns eine in mildes Sonnenlicht getauchte Gebirgslandschaft, bekrönt und über Bergsättel und Felskämme hinweg weithin durchzogen von einer trutzigen, zinnenbewehrten Mauer. Dort am „Einstieg” angekommen, beginnen wir, uns erst einmal zu orientieren. Gehen wir links, gehen wir rechts? Nach links sehen wir vor uns die sich in einer Kette von Hügel zu Hügel aufschwingende, in nur kurzen Abständen mit massiven, rechteckigen Wachtürmen bestückte Mauer, die an dem dahinter liegenden breiten Berghang steil ansteigt und oben, etwa l00 m unterhalb des Bergkammes und ca. 2000 m von uns entfernt, den Hang nach links quert. Unser Auge aber bleibt erst einmal an einem dort oben aus drei großen Schriftzeichen im Fels geformten Wort hängen: MAO !
Wir gehen nun erst einmal über flache Stufen auf der seitlich durch mannshohe, regelmäßig von Scharten unterbrochenen Mauerkrone etwas abwärts bis zu einem ersten Wachturm, wieder hinauf zu einem zweiten und einem dritten, bis wir uns fragen, wie weit wir eigentlich gehen wollen. Die Sonne brennt ganz schön auf uns herab und ein relativ steiler Aufstieg stünde uns bevor. Die Logik sagt uns, dass wir auf  gleichem  Weg über  unzählige  Stufen  auch wieder  zurück  müssen. Schon  hier stellen wir fest, dass die mit uns heraufgekommenen Zeitgenossen unserer fortgeschrittenen Altersstufe immer weniger werden und jene, die von da oben in kleinen Gruppen mit Turnschuhen leichtfüßig zurückkommen, doch überwiegend jüngeren Datums sind.
Egal, wie hoch man hinan steigt, der Blick von dort oben auf die steilen Felswände und die sich bis in große Höhen über sie hinziehende Mauer, gleichermaßen aber auch in der Gegenrichtung sich in der Ferne verlierend: Der Anblick ist grandios! Und immer wieder kommt man ins Grübeln, wie, unter welchen Strapazen und mit wie viel Menschenopfern dieses gigantische Werk zur damaligen Zeit in Szene gesetzt werden konnte. Die schweren Ziegel, aus denen die Mauer gefügt ist, mussten in der Ebene gefertigt, herangekarrt, hinaufgeschafft und verbaut werden – ohne Aufzugshilfe, Kräne, Baumaschinen! Allenfalls den Pyramiden vergleichbar.  Chinesische Mauer-Hintergrundinformation